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Enthaltsamkeit als Umsatztreiber

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02.05.2024

Von: Harald Koisser
Fasten ist für immer mehr Menschen nicht nur eine persönliche Reise zur körperlichen Reinigung, sondern auch eine Gelegenheit, Gemeinschaft neu zu erleben. Kann das ein Geschäftsmodell für Hotelbetriebe sein?
Fasten

Fasten bleibt ein Trendthema“, heißt es einer aktuelle Studie vom Kurhaus Marienkron von Jänner 2024, „mehr als die Hälfte der Östrerreicher:innen plant 2024 zu fasten.“ Der Nobelpreis für die Erforschung des Fastenprozesses im Jahr 2016 an den Japaner Yoshinori Ohsumi hat dazu ebenso beigetragen wie das neuartige Intervall-Fasten, von dem bald alle Gesundheitsmedien voll waren. 

Die Hälfte der Befragten gaben an, dass auch die allgemeinen Teuerungen Einfluss auf ihre Gesundheitsvorsätze haben. Intervallfasten ist die heute bekannteste Fastenform und sie wird auch in den Fastenhäusern angeboten. 
„Unsere Gäste erleben die Reduktion und Rhythmisierung des Essens als sehr positiv“, sagt Ulrike Göschl, ärztliche Leiterin von Marienkron, „weil damit eine Änderung von Lebensstil und Essverhalten eingeläutet werden kann. Der Mensch ist ja biologisch für das Fasten besser ausgerichtet als für die Völlerei. Die adipogene Gesellschaft entspricht uns überhaupt nicht. Es braucht auch karge Zeiten.“

Neue Welle der Enthaltsamkeit

Mehr als die Hälfte der in Österreich wohnenden Menschen wollen fasten? Das wäre eine regelrechte Fastenwelle. Immerhin mehr als ein Drittel (35,2 %) der ÖsterreicherInnen hat das Vorhaben tatsächlich umgesetzt, wie es in der Marienkroner Fastenumfrage im Rückblick auf das Vorjahr heißt. Das ist auch nicht wenig. 
„Ich erkenne den Trend“, bestätigt Karl Gugerbauer vom Hotel Gugerbauer in Schärding, einem Haus, das seit über 30 Jahren auf Fasten spezialisiert ist. „Ich merke, dass plötzlich Hotels das Thema aufgreifen und sie werden aufgrund der Nachfrage wohl auch Buchungen haben. Aber ich bin skeptisch.“

Gäste erleben Reduktion und Rhythmisierung des Essens als positiv: Ulrike Göschl, Marienkron.
Gäste erleben Reduktion und Rhythmisierung des Essens als positiv: Ulrike Göschl, Marienkron.

Eine Reise, nicht nur eine Diät

Den Leuten eine Woche Nicht-Essen verkaufen, klingt gut. Aber so einfach ist das nicht. „Fastengäste sind ein eigenes Publikum“, so Gugerbauer, „sie brauchen individuelle Betreuung und es darf keine Ablenkung geben. Wir haben einen sehr schönen Gastgarten direkt am Inn, er ist aber nur für unsere Hausgäste geöffnet, weil dort keine Schnitzel gegessen oder Eisbecher vorbeigetragen werden sollen.“ Und das mit dem Nicht-Essen stimmt natürlich nicht. Vielmehr ist die Küche besonders gefordert. 

Bei Gugerbauer können die Leute jederzeit mit dem Fasten beginnen. Manche steigen also in den Fastenprozess ein, manche sind mittendrinn und brauchen ihre Suppen und manche sind schon im Aufbau nach dem Fasten. Zugleich entwickelt die Küche bei Gugerbauer laufend Produkte wie Karotten- oder Zwiebelessenzen oder homöopathisches Brot. So sind im Gesundheitshotel Gugerbauer alle 42 MitarbeiterInnen gefordert – nicht nur die acht in der Küche, sondern auch die vier fix anwesenden Fastenbegleiterinnen, die 10 Therapeutinnen in der Kosmetik- und Therapieabteilung und „auch die Servicemitarbeiter wissen, wie man bei Kopfweh helfen kann.“

In Marienkron ist Fasten nicht nur individuell medizinisch und diätologisch begleitet, sondern ebenfalls eine kreative kulinarische Angelegenheit. „Bei uns darf man sich auch als Fastender auf das Essen freuen“, betont Hoteldirektorin Elke Müller, „mir ist Fasten mit Genuss wichtig!“ Die Gäste können zwischen verschiedenen Fastenprogrammen wählen. Neben adaptiertem Saftfasten gibt es auch Suppen- oder Gemüsefasten. „Wir haben keine klassischen Fastengruppen und folgen keinen Fastendogmen“, betont Elke Müller. Dafür kann man Sushi-Fasten, ein durchaus originelles Angebot, bestehend aus Reis und Gemüse aus dem Seewinkel vor Ort. „Wir bleiben auch hier bei rund 600 Kalorien pro Tag“, sagt Müller, „sind also tatsächlich in einem Fastenprozess.“ Das Angebot soll wohl urbane und jüngere Menschen ansprechen. „Wir haben jetzt auch Leute im Alter von 30 plus und ab und zu waren auch schon noch jüngere Menschen hier.“ Verpflichtend in Marienkron ist ein aktueller Laborbefund beim ärztlichen Erstgespräch. Die Fastenden werden laufend begleitet von Ärzten, Diätologinnen und einem ganzheitlich orientierten Therapieteam.

Im Hotel Gugerbauer von Karl und Christine Gugerbauer in Schärding wird seit 30 Jahren gefastet
Im Hotel Gugerbauer von Karl und Christine Gugerbauer in Schärding wird seit 30 Jahren gefastet

Rein wirtschaftlich war es hart

„Ich freue mich über jedes Haus, das professionell in den Markt einsteigt“, ermuntert Klaus Rebernig vom Kloster Pernegg, dem größten und bekanntesten Fastenhaus in Österreich. Die Betonung liegt auf „professionell“. Denn auch Pernegg ist ausschließlich auf Fasten ausgerichtet und bevorzugt das klassische Fasten nach Buchinger/Lützner. Anfangs war das weltlich geführte Kloster auch für Firmenseminare offen, ein Bereich, der sehr gut funktioniert hat. Rein wirtschaftlich war es hart, diesen Bereich einzustellen, „aber notwendig“, wie Rebernig betont. Es war unzumutbar, in sich gekehrte Fastende und Seminargäste, die bei einer Falsche Wein im Klosterhof entspannen, nebeneinander zu betreuen. Es brauchte für Rebernig Klarheit und eindeutige Ausrichtung. Die zeigt sich auch darin, dass in Pernegg selbst mittlerweile 180 FastenbegleiterInnen ausgebildet wurden. Damit steht ein großer Pool an Profis bereit und fast alle findet man auch ganz leicht auf der Internetplattform fastenwelt.com. „Ich sage unseren Fastenleiter:innen, sie sollen sich die viele Arbeit nicht antun und jemanden Fasten erklären, der selbst keinen Zugang dazu hat“, so Rebernig, „die Verantwortlichen müssen das nämlich wirklich leben können.“

Klaus Rebernig, Kloster Pernegg: „Ich freue mich über jedes Haus, das professionell in den Markt einsteigt“
Klaus Rebernig, Kloster Pernegg: „Ich freue mich über jedes Haus, das professionell in den Markt einsteigt“ 

Spirituelle Dimension

Fasten mag ein spannendes und lukratives Geschäftsmodell sein, hat aber auch eine starke spirituelle Dimension, die man nicht mit Marketing und Werbung herbeizaubern kann. Es braucht eine intrinsische Motivation der Unternehmer und ein Mitgehen der gesamten Mannschaft. Pernegg etwa macht den Trend zur Individualisierung des Fastens nicht mit und setzt ganz klassisch auf Fastengruppen. Da ist man als Gast von Samstag bis Samstag in einer bunt zusammengewürfelten Gruppe mit entsprechend dynamischen Gruppenprozessen, die auch professionell gesteuert werden müssen. Naturerlebnisse, Meditationen und – ganz speziell in Pernegg – eine Fülle von sogenanntem Themenfasten geben den Rahmen. Da wird nicht nur gefastet, sondern es ist „Fasten plus“. Fasten und Wandern, Fasten und Rückentraining, Lebenskraft & Leberkraft und Fasten in Kombination mit „getanztem Frühlingserwachen“. Die Themenfülle ist groß. „Das ist entstanden, weil ich mir anfangs Fasten nicht vorstellen konnte“, lacht Rebernig, „ich dachte, da braucht es etwas als Bonus dazu.“ Die Themenausrichtung funktioniert ebenso wie das Fasten in der Gruppe.

„Das ist genau die Besonderheit in Pernegg“, betont Rebernig, „da erlebst du etwas, was du seit dem Kindergarten nicht mehr kennst. Eine heterogen zusammengesetzte Gruppe, ohne Ansehen von Status und Herkunft. Alle Berufe und Titel sind hier gelöscht. Du bist Fastender unter Fastenden. Alles sind per Du. Du hast endlich wieder die Möglichkeit, Menschen kennenzulernen. Niemand will irgendetwas von einem anderen.“ In der Gruppe zu sein, heißt auch, auf die Gruppe Rücksicht zu nehmen. Es heißt sozial und kooperativ sein! Eine schöne soziale Übung! 

Ist Fasten ein Geschäft?

Was also sind die Erfolgsfaktoren für ein Fastenangebot? Als Hotelier sollte man Fasten „verstehen“ und in das persönliche Leben integrieren wollen. Die Fastenden brauchen Orte und Angebote der Stille und Besinnung. Gugerbauer hat einen großen Wellness- und Therapiebereich samt Kältekammer (-85° C) eingerichtet, Pernegg hat ein Kräuterlabyrinth, in dem man sich meditativ bewegen kann und soll, Marienkron versteht sich als Oase der Ruhe und hat ein großes Ärzte- und Therapieteam im Haus. Die ärztliche Begleitung sollte schließlich ebenso gewährleistet sein wie eine professionelle Begleitung der Fastenwilligen. „Man muss das Produkt zum Standort entwickeln“, betont Rebernig, „und es nicht einfach aufpfropfen. Man kann nicht sagen: ich schau, wie Pernegg das macht und das kopiere ich. Man muss die eigenen Räumlichkeiten und Möglichkeiten gut prüfen.

Es braucht ein natürliches Umfeld für Fastende – Wiesen, Wälder, Wasser, frische Luft. Und man muss die Aufladung der gesamten Region bedenken. Passt Fasten in das große Umfeld?“ 
„Fasten einfach als Appendix – das geht nicht“, meint auch Karl Gugerbauer. Aber vielleicht kann man am Fastenboom auch anders mitmachen. Pernegg sucht gerade Partner für ein größeres Investment. Er möchte auf insgesamt 95 Zimmer in Holzbauweise aufstocken und sucht auch Interessierte für eine operative Zusammenarbeit.